Müssen Deutsche noch 1000 Jahre politisch korrekt denken und formulieren?


  • Während die kleine Hexe wie viele Bücher der Zeit angepasst wird (also nicht nur "problematisches" ausgemistet wird, sondern auch das Buch wieder mit der Lebenswelt der Kinder verknüpft wird), war bei Pippi Langstrumpf eine Neuübersetzung eh Fällig. Bei beiden Büchern verstand ich also die Aufregung nicht, diese Ausdrücke (Negerlein, Hottentotten) bieten keinen Mehrwert inhaltlich (oder will mir jemand sagen, bei der kleinen Hexe ist es Handlungstragend, dass auf der Fasnacht Negerlein und Hottentottenhäuptlinge sind und die Türken in Pluderhosen ist eine Anspielung auf etwas, dass für uns vielleicht noch bekannt ist, aber den Kindern wohl nicht mehr, es ist nicht mehr "das Bild" schlechthin, sondern ein veraltetes Bild, gleichsam als würde man Geographie mit einem veralteten Globus unterrichten, entsprechend macht es durchaus auch Sinn, die Pludderhosen durch etwas aktuelles zu ersetzen...


    Also ich halte nichts davon, Bücher immer der Zeit anzupassen und in dem Fall auch noch die Sprache völlig in eine andere Richtung zu drängen.


    Oder willst du den Geschichtsunterricht z.B. auch politisch korrekt machen und anpassen? Stell dir mal vor, es wird gerade die Sklavenzeit behandelt. Dass die Leute dort verächtlich Nigger genannt wurden, ist Teil der Geschichte. Das kann man den Kindern halt auch erklären, dass es was rassistisches ist und nicht gesagt werden darf, wenn sie ein Kind mit dunkler Hautfarbe sehen.


    Ich frag mich auch, wie wir als Kinder denn mit Negerkönig und Hottentotten klar kamen, wenn man heutzutage der Meinung ist, das wäre ja so furchtbar für Kinder. Sind wir alle Rassisten geworden? Doch wohl kaum.


    Wer rassistisch ist, wird halt solche Sachen auch immer wieder anwenden und zwar rassistisch und abwertend.


    Für alle anderen ist es einfach nur die "damalige" Sprache.

  • Also ich halte nichts davon, Bücher immer der Zeit anzupassen und in dem Fall auch noch die Sprache völlig in eine andere Richtung zu drängen.

    Würde das nicht gemacht, würde die halbe Weltliteratur nicht einfach nicht mehr gelesen, sie würde auch nicht mehr verstanden. Bei Kinderbüchern ist der Bedarf zur "Übersetzung" dann noch grösser, weil Kinder das Intelektuelle Rüstzeug gar nicht haben, die Bücher sonst noch zu verstehen. Die Beispiele für nicht mehr (von Kindern) verstehbare Dinge habe ich ja an der Kleinen Hexe schon im letzten Post ausgeführt. Diese Anpassungen führen im übrigen nicht dazu, dass die früheren Versionen nicht mehr existieren, es wird nur eine zeitgemässe Variante zugefügt.


    Im übrigen, schau dir z.B. die Animeversion von Nils Holgersson an, die gilt ja als recht Buchnah, die ist auch eine der "Zeit" und "Kontext" angepasste Interpretation, also eine von vielen Formen, in der Nils Holgersson auftritt. Wie gesagt gibt es auch diverse gekürzte Versionen von Nils Holgersson, sie sind sogar Dominant im Buchhandel, was eben auch zeigt, eines der erfolgreichsten, besten und wohl nicht umstrittenen Bücher wird der Zeit und Kundschaft angepasst. Das heutige Kind wird nicht mehr verstehen, was Tuberkolose ist, sogar viele Erwachsene werden nicht wissen was die Schwindsucht war und wie sie sich auf die Gesellschaft auswirkte (und wie viele Spuren sie in Literatur, Kunst und Architektur hinterliess...)... Was bringt es also, wenn dieser Buchteil so ausführlich erhalten bleibt? Ungelesene Bücher bzw. nicht fertig gelesene Bücher gibt es schon genug.


    Auch verweise ich auf die beiden Heidi-Bücher (ja, es wären zwei), die kennt auch kaum einer so wie sie wirklich sind. Nicht weil sie problematisch wären (im Gegenteil, sie sind sehr subtil sozialkritisch) sondern weil gewisse Dinge nicht mehr verstanden würden... Ich finde es schade, dass im kollektiven Bewusstsein der Schweizer nicht die originale sind, aber die Vielfalt der Versionen ist halt der Preis dafür, dass dieser und andere Klassiker überleben können.


    Ich würde deine Ablehnung dieser Anpassungen ja verstehen, wenn die früheren Versionen dabei verloren gingen, dem ist aber eben nicht so und es ist sogar so, dass viele Bücher die unser kollektives Unterbewusstsein mitprägen (z.B.) die Bibel, fortlaufend in die aktuelle Sprache übertragen werden.

    Oder willst du den Geschichtsunterricht z.B. auch politisch korrekt machen und anpassen? Stell dir mal vor, es wird gerade die Sklavenzeit behandelt. Dass die Leute dort verächtlich Nigger genannt wurden, ist Teil der Geschichte. Das kann man den Kindern halt auch erklären, dass es was rassistisches ist und nicht gesagt werden darf, wenn sie ein Kind mit dunkler Hautfarbe sehen.

    Ein Geschichtsbuch liefert ja genau den Kontext, die Idee eines Geschichtsbuches ist genau diese Zustände darzustellen und erklären. Wobei ich übrigens gerade Schulgeschichtsbüchern sehr kritisch gegenüberstehe, weil sie derart vereinfachen, dass sie fachlich gesehen schlicht falsch sind.


    Ich frag mich auch, wie wir als Kinder denn mit Negerkönig und Hottentotten klar kamen, wenn man heutzutage der Meinung ist, das wäre ja so furchtbar für Kinder. Sind wir alle Rassisten geworden? Doch wohl kaum.

    Für Kinder ist es nicht furchtbar, aber für einige betroffene vielleicht schon. Schau, mich stört es auch, wenn ich als Schweizer gleich als lederhosentragender [sic!] Steuerbetrugsgehilfe angesehen werde, Hottentotte und Neger sind aber nun mal historisch noch deutlich aufgeladener Begriffe (ach ja, jeder der sich mich gerade in Lederhosen vorstellt, auf meinen Schwarzen Listen ist noch sehr viel Platz für euch ;-)). Wieso also Begriffe, die Dritte Verletzen könnten, aber keinen inhaltlichen Mehrwert haben (Teilweise sogar das absolute Gegenteil) und von den heutigen Kindern teilweise auch nicht mehr verstanden werden, unbedingt erhalten (in Kinderbüchern)?


    Aber mal ein anderes Beispiel. Hat jemand mal Oliver Twist gelesen, also das ganze Buch in der vollen Ausgabe? (Ich habe es gemacht und bis heute ist es auf der Liste der verschwendeten Zeit ganz oben aufgeführt, im ernst, ich will diese Lebenszeit zurückerstattet!) Die Darstellung Faigans in Oliver Twist ist in einem Ausmasse widerwärtig und rassistisch, dass ich dieses Buch nicht einmal einem Erwachsenen guten Gewissens empfehlen könnte. Am Ende, als Faigan an den Galgen kommt, ist sogar tatsächlich noch die Sprache vom widerwärtigen Juden. Würdest du deinem Kind so etwas vorlesen, wo ernsthaft jedes mal, wenn von Faigan die Rede ist im Grunde der Text sich in antisemitischen Clichés wälzt? Oder würdest du dann doch lieber eine Kindgerechte Version verwenden? Auf letzteren basieren übrigens die diversen Verfilmungen und Serien, nur so am Rande erwähnt.


    Ich verstehe durchaus, dass man keine Zensur will, aber das was bei der Kleinen Hexe, Pipi Langstrumpf, Nils Holgersson oder Heidi passiert, ist ja auch keine Zensur, es ist ja nicht so, dass die neue Version die alte beseitigt. Es gibt keine damnatio memoriae, die früheren Versionen werden auch weiterhin zu finden sein, bei den ganz grossen (wie Nils und Heidi) sogar auch weiterhin neu aufgelegt. Würden diese Bücher nicht an die Bedürfnisse der Zeit (Sprahce/Länge) angepasst, würden sie schlicht irgendwann verschwinden, was meiner Ansicht nach der grössere Verlust wäre. (Ein Beispiel in der Schweiz wäre übrigens, dass immer mehr Kinderbücher und Serien in Schweizer Mundarten übersetzt/Synchronisiert werden, da wird das Original auch "verändert" um es [Schweizer-]Kind-gerechter zu machen).


    Ein weiterer Aspekt wäre übrigens, dass viele Kinderbücher jede Generation etwas früher (vor-)gelesen werden. Im Zusammenhang mit Pipi Langstrumpf wurde das mal festgestellt und in den Medien auch rezipiert. Behaftet mich nicht, aber soviel ich mich entsinne ist der Altersschnitt der "Konsumenten" der Pipi-Bücher heute ca. 3-4 Jahre jünger, als zur Zeit als sie auf den Markt kamen. Dem muss auch Rechnung getragen werden. Ich wollte darauf aber nicht allzu sehr eingehen, da es ja garnicht mehr zum Threadthema gehören würde und ich auch kein Fachmann dafür bin. Nur soviel, als ich mit 14 MacBeth lesen (ja, ja, das war wegen Gargoyles) wollte kam das auch nicht gut.

  • Aber mal ein anderes Beispiel. Hat jemand mal Oliver Twist gelesen, also das ganze Buch in der vollen Ausgabe? (Ich habe es gemacht und bis heute ist es auf der Liste der verschwendeten Zeit ganz oben aufgeführt, im ernst, ich will diese Lebenszeit zurückerstattet!) Die Darstellung Faigans in Oliver Twist ist in einem Ausmasse widerwärtig und rassistisch, dass ich dieses Buch nicht einmal einem Erwachsenen guten Gewissens empfehlen könnte. Am Ende, als Faigan an den Galgen kommt, ist sogar tatsächlich noch die Sprache vom widerwärtigen Juden. Würdest du deinem Kind so etwas vorlesen, wo ernsthaft jedes mal, wenn von Faigan die Rede ist im Grunde der Text sich in antisemitischen Clichés wälzt? Oder würdest du dann doch lieber eine Kindgerechte Version verwenden? Auf letzteren basieren übrigens die diversen Verfilmungen und Serien, nur so am Rande erwähnt.


    Hier befindest du dich in einem riesigen Irrtum.


    Im Text werden keine "antisemitischen Klisches" gewälzt, sondern Charles Dickens lässt seine Romanfiguren schlicht und einfach das ausdrücken, was damals die Gesinnung des Volkes war!
    Und genau anhand solcher Romane etc., die die damalige Situation beschreiben, lässt sich Geschichte bzw. bestimmte Auswirkungen viel besser verstehen.
    Denn die Nazis haben ja nicht den Antisemitismus "erfunden", sondern der Nationalsozialismus fußt auf einen mehrere hundert Jahre alten Antisemitismus, weshalb diese Partei ja auch in kurzer Zeit so erfolgreich war.
    Was Dickens im Oliver Twist seinen Romanfiguren in den Mund kegt, ist sehr authentisch und deshalb auch wertvoll ;-)
    Wer solche Romane zensiert, hat nicht ganz verstanden, das hochwertige Literatur eben mehr ist als reine Unterhaltungslektüre.


    Und dass "Weltliteratur" sprachlich der Neuzeit angepasst werden muss, weil
    das sonst niemand mehr liest oder gar nicht mehr verstehen kann, ist
    auch Nonsens. Mich gruselt jedesmal eine Neuübersetzung von z.B.
    Dostejewski, da ist der Sprachstil und dadurch auch zum Teil der Inhalt
    völlig verändert worden.
    Das einzige Buch von Rang der letzten
    Jahrhunderte, das man im Original nicht mehr so wirklich versteht, ist
    wohl dasjenige von Grimmelshausen. Aber auch nur deshalb, weil er zum
    Teil im Dialekt und mit einer gruseligen Grammatik schrieb. Eventuell noch "Das Narrenschiff".

  • Im Text werden keine "antisemitischen Klisches" gewälzt, sondern Charles Dickens lässt seine Romanfiguren schlicht und einfach das ausdrücken, was damals die Gesinnung des Volkes war!
    Und genau anhand solcher Romane etc., die die damalige Situation beschreiben, lässt sich Geschichte bzw. bestimmte Auswirkungen viel besser verstehen.
    Denn die Nazis haben ja nicht den Antisemitismus "erfunden", sondern der Nationalsozialismus fußt auf einen mehrere hundert Jahre alten Antisemitismus, weshalb diese Partei ja auch in kurzer Zeit so erfolgreich war.
    Was Dickens im Oliver Twist seinen Romanfiguren in den Mund kegt, ist sehr authentisch und deshalb auch wertvoll ;-)
    Wer solche Romane zensiert, hat nicht ganz verstanden, das hochwertige Literatur eben mehr ist als reine Unterhaltungslektüre.

    Dickens lässt ja nicht die Figuren das Ausprechen, sondern den Erzähler nimmt diese Wertungen vor, damit ist es eben (für mich) kein "Mitschnitt" mehr, sondern eine normative Aussage. Dickens stellt den Hehler Fagin als das dar, bedient sich der Bilder, nicht Dickens beschreibt, wie die Figuren im Roman Fagin so wahrnehmen. Ein feiner aber nicht kleiner Unterschied, finde ich.


    Und das Geschichte verstehen anhanden solcher Werke habe ich ja genau auch ausgeführt, aber das Geschichte verstehen bedeutet nicht, dass es nur das einzig wahre Original geben muss und nur dieses und kein anderes. Bei Oliver Twist, wie bei Tim im Kongo, erkannte ja der jeweilige Autor, sprich Dickens bzw. Hergé, selbst, dass da vielleicht zu viel des "guten" war und beide Werke wurden schon von den Autoren selbst gemildert.


    Ein wenig irritiert bin ich auch, dass immer gleich von Zensur die Rede ist. Die Bücher sind ja Problemlos im Original zu finden (im Handel oder halt in den Bibliotheken und Fachbibliotheken).


    Meine Auswahl an Beispielen beschränkte sich, mit Ausnahme von Oliver Twist, auf Bücher die eindeutig der Kinder- und Jugendliteratur angehören, was damit zu tun hat, dass in diesem Genre die Anpassung absolut üblich ist, üblicher als bei der "grossen" Literatur (dort wird dann eher eine Erläuterung verfasst, als überarbeitet, was ich bei der Leserschaft dieser Werke übrigens auch besser finde). Aber die kleine Hexe, Pipi, Nils und Heidi gehören der Kinder- und Jugendliteratur an und da kann man schlecht erwarten, dass die Leserschaft das einordnen kann und eine Erläuterung dazu bringt es wohl kaum.


    Die Abneigung gegen Neuübersetzungen kann ich auch nicht ganz verstehen, das impliziert ja, dass im Grunde nur eine Übersetzung gut sein kann. Da bevorzuge ich Pluralismus. Ist eine Neuübersetzung Mist frisst sie ja nicht die frühere Übersetzung auf, die existiert ja weiterhin, wo ist also da das Problem.


    (Editinfo: Grad beim Nachsehen gesehen, dass der Hehler Fagin, nicht Faigan, entsprechend korrigiert).

  • Generelle Antwort: Leider Ja (Im öffentlichem Leben). Dieses tausenjährige Reich haben die braunen Idioten erschaffen.


    Persönlich bin ich weder Rassist noch Antisemit aber auch mir schwillt der Kamm wenn jede Kritik sofort mit der Nazi-Keule gekontert wird.Wers nicht glaubt - kritisier mal Israels Politik und schon kommt das andere N-Wort geflogen.
    Als Bayer (erst viel später Deutscher) bin ich für leben und leben lassen.
    und was das formulieren angeht:
    Zitat :Während die kleine Hexe wie viele Bücher der Zeit angepasst wird (also nicht nur "problematisches" ausgemistet wird, sondern auch das Buch wieder mit der Lebenswelt der Kinder verknüpft wird), war bei Pippi Langstrumpf eine Neuübersetzung eh Fällig. Bei beiden Büchern verstand ich also die Aufregung nicht, diese Ausdrücke (Negerlein, Hottentotten) bieten keinen Mehrwert inhaltlich (oder will mir jemand sagen, bei der kleinen Hexe ist es Handlungstragend, dass auf der Fasnacht Negerlein und Hottentottenhäuptlinge sind und die Türken in Pluderhosen ist eine Anspielung auf etwas, dass für uns vielleicht noch bekannt ist, aber den Kindern wohl nicht mehr, es ist nicht mehr "das Bild" schlechthin, sondern ein veraltetes Bild, gleichsam als würde man Geographie mit einem veralteten Globus unterrichten, entsprechend macht es durchaus auch Sinn, die Pludderhosen durch etwas aktuelles zu ersetzen.


    Es ist auch seltsam, dass diese paar Worte, die aus Kinderbüchern verschwinden sollen ein riesen Drama sind, der Umstand, dass die meisten Kinderbuchklassiker (z.B. denke ich da an Nils Holgersson) nur in gekürzten Versionen zu haben sind... Als ich Nils Holgersson in der Vollversion kaufen wollte, wurde ich aus der Kinderbuchabteilung verwiesen, da dort nur gekürzte Versionen zu haben sind (verschiedene zwar, sodass er altersgerecht für verschiedene Altersgruppen ist). Da schreit aber niemand. So am Rande ist eine der häufigen Kürzungen bei Nils Holgersson eben auch etwas, dass heute Kinder und Erwachsene nicht mehr verstehen, nämlich der Handlungsstrang um die Tuberkolose... Tuberkolose ist nämlich aus unserer Lebenswelt verschwunden.


    Diese Anpassung an den vermeintlichen Zeitgeist zeigt das Problem ziemich gut.
    Das "bereinigen" der Sprache ist ein wunschergebniss der Political correctnes.Wohin das führt kann jeder bei Georege Orvell´s 1984 nachlesen.
    Viel besser wäre es diese Begriffe zu belassen und etwas zu tun das völlig außer Mode ist:
    DEN KINDERN ETWAS BEIZUBRINGEN und ihnen vermitteln was diese begriffe für eine Bedeutung haben/hatten.
    Viele zusammenhänge lernt man nur durch Kontext.
    Auf diese Art bleibt Sprache etwas lebendiges.
    Die Rechtschreibreform hat da ja schon genug Schaden angerichtet.

    There are times i look at People and see nothing worth liking.